Steine waren auf Polizei und Fensterscheiben geflogen, ebenso Farbbeutel und Feuerwerk, die Rede war von einem durch Demonstrant:innen in Brand gesetztem Balkon eines Neubaus, die Connewitzer Polizeiwache wurde angegriffen. Bundesweit wurde im vergangenen Jahr über das „Randale- und Krawallwochenende“ berichtet, das sich nach einer Hausräumung im Leipziger Osten und im Rahmen der „Sozialen Kampfbaustelle“ in Connewitz ereignet hatte. Es ging – wie so oft und wie in vielen anderen Städten in Deutschland und ganz Europa – um das Thema Verdrängung, also dem Umbau der Stadt, wie sie bisher gewesen war, hin zu einer „Stadt der Reichen“. Einer Stadt, die sich mit allem, was sie zu bieten hat, an den Wünsche und Begehrlichkeiten der Wohlhabenden orientiert und dabei arme und wenig wohlhabende Menschen aus der Stadt herausdrängen will.
Damals äußerte sich OB Burkhardt Jung wie folgt dazu: „Man schafft keinen Wohnraum, indem man Polizisten angreift und Barrikaden anzündet.” und erklärte weiter, die Debatte um bezahlbaren Wohnraum habe einen schweren Rückschlag erlitten. So sagte auch die in Connewitz lebende Grünen-Politikerin Monika Lazar: „Die gewalttätigen Demos bringen uns in der Sache bezahlbarer Mieten nicht voran. Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Deshalb verurteile ich die Ausschreitungen scharf.” Und auch die Professorin Kerry Brauer, Direktorin der staatlichen Studienakademie Leipzig, äußerte sich, selbst als die Krawalle schon eine Weile zurücklagen, wie folgt: „Mit Restriktionen entsteht keine Wohnung zusätzlich und ebenso wenig mit krawallartigen Demonstrationen. Im Gegenteil: Der Markt wird für Investoren eher uninteressant.“ Also, so könnte man nun schließen: Die armen und weniger wohlhabenden Bewohner:innen Leipzigs können sich entspannt zurücklehnen und warten und hoffen, dass Stadtpolitiker:innen in Zusammenarbeit mit Investor:innen die Sache schon richten werden. Zurücklehnen, an die Seitenlinie treten, sich mit Zuschauen und Warten begnügen, darauf hoffend, dass aber genau was passiert?
Tatsächlich ist es so, dass sich, trotz des angeblichen Engagements aus Politik und Wirtschaft um bezahlbaren Wohnraum, die Mieten fast im gesamten Leipziger Stadtgebiet verteuert haben, und zwar durchschnittlich im Zehnjahresvergleich um nahezu 50%, die Mieten für den Erstbezug nach Sanierung oder Neubau liegen bei durchschnittlich fast 10,-€/m², und die Bestandsmieten stiegen parallel dazu auf durchschnittlich 7,-€/m² – kalt wohlgemerkt. Vom durchschnittlichen Einkommen derjenigen, die weniger als 1100,-€ im Monat verdienen, beträgt der vom Einkommen für Miete ausgegebene Anteil 45%, während wohlhabende Menschen im Vergleich nur 23% ihres Verdienstes für die Miete hinblättern. Dieser Zustand hat sich über die letzten Jahre jedes Jahr weiter verschlimmert und der Trend ist ungebrochen. Wir können festhalten: Nicht diejenigen, die sich Sorgen machen um ihre Zukunft in dieser Stadt, sondern wer reich ist, der kann sich in Leipzig entspannt zurücklehnen und die Stadtentwicklung entspannt von der Seitenlinie beobachten. Wer jedoch arm oder weniger wohlhabend ist, der kann sich darauf gefasst machen, dass es in absehbarer Zeit kaum mehr möglich sein wird, hier in der Stadt wohnen zu bleiben. Und auch: Es wird immer schwieriger, nach Leipzig zu ziehen, sofern man nicht das nötige Cash in der Tasche hat.
Zwar wird gerade von den Parteien der Stadtregierung so getan, als sei der Prozess der Verdrängung unerwünscht, aber es stimmt einfach nicht, dass dieser Prozess ungewollt sei. Tatsächlich ist es so, dass in der Stadtpolitik eine allgemeine Zufriedenheit besteht über die Entwicklung des Leipziger Wohnungsmarktes. Und das ist aus städtischer Sicht auch ganz verständlich: Man möchte eine wohlhabende Stadt, also müssen auch wohlhabende Menschen in der Stadt leben, also müssen große Firmen sich in der Stadt ansiedeln und für diese Menschen werden dann die entsprechenden Angebote gemacht. Und wenn erstmal genug wohlhabende Menschen in der Stadt leben, dann entfaltet sich auch ein hochpreisiges Konsumangebot, weil die wohlhabenden Menschen eben auch eine wohlgestaltete Unterhaltung, Verköstigung und dergleichen haben wollen. Demgegenüber ist es so, dass arme Menschen im Kalkül der Stadt eben eher Kosten verursachen, und sich keine teuren Angebote leisten können, kein Geld in die Kassen spielen, die Stadt nicht modernisiert werden kann, ergo sich auch keine großen Firmen ansiedeln und die Stadt dann eben keine wohlhabende Stadt ist. Und das möchten die Menschen, die sich in Politik und Wirtschaft engagieren eben nicht, weswegen sie auch keine armen Menschen wollen.
Trotzdem ist es so, dass gerade die „freie“ und „alternative“ Künstler:innenszene, die „Kreativen“ in der Stadt lange umworben worden sind, ebenso alternative Wohnformen und dergleichen, und zwar genau so lange, wie das für die Stadt gut war sich dieser Menschen zu bedienen, um Leipzig das Image einer hippen und modernen Stadt zu geben, nachdem Leipzig lange für viele, die auf der Suche nach dem modernen und fortschrittlichen Leben waren, bloß eine „Stadt zum Wegziehen“ war, wie an der Bevölkerungsentwicklung abzusehen ist. Das Hofieren der „Kreativen“ und „Alternativen“ dauerte so lange, wie es zu städtischen Werbe- und Imagezwecken dienlich war, und wurde – abgesehen von dem Tourismus förderlichen „Leuchtturmprojekten“ – längst beendet.
Ebenso fand die Stadt lange Gefallen an unserer antifaschistischen Praxis. Nur durch die selbstorganisierte antifaschistische Gegenwehr überhaupt gelang es, den Nazis, die es lange auf Leipzig als eine ihrer zentralen Städte im Osten abgesehen hatten, den Rang streitig zu machen. Hierfür waren viele Demonstrationen, Aktionen, Kulturveranstaltungen und handfeste Auseinandersetzungen nötig, die die Stadt duldete, so lange, wie es nötig war, nur um jetzt, wo der Umbau zur „Stadt der Reichen“ große Fortschritte macht, unsere antifaschistischen, linksradikalen und autonomen Strukturen umso härter zu verfolgen und zu kriminalisieren.
Heute regiert in der Stadt eine Art Goldgräberstimmung: Vom Großkonzern bis zum 1-Personen-Kleinstunternehmen wird nach Möglichkeiten gesucht, an das Geld zu kommen, was in der Stadt vermutet wird. Orientiert wird sich dabei immer an einer pseudoalternativen Hippnes und Kreativität. Die ganze Stadt ist dem Ausverkauf preisgegeben; Orte, Häuser und Wohnungen, die von Bewohner:innen der Stadt mit Leben gefüllt wurden, entpuppen sich als Goldgruben, deren Ausbeutung nur dadurch noch behindert wird, dass die alten Bewohner:innen noch da sind. Und so werden alle Mittel eingesetzt, die nötig sind: Verdrängung, Entmietung und eine maßlose Ignoranz gegenüber dem, was vorher da war. Die Enteignung, die in Städten wie Berlin die Immobilienfirmen wie ein Schreckgespenst verfolgt, findet längst statt: Die Stadt wird den Menschen genommen, die sie bewohnen und übereignet an die wohlhabenden zukünftigen Bewohner:innen.
Wenn aber die Allianz aus Stadtpolitiker:innen, Immobilienmakler:innen, Inverstor:innen und einer (neuzuziehenden) Schickeria glaubt, dass wir uns von ihrem leeren Geschwätz über eine Stadt, die Platz für alle haben soll, mit Mieten und Angeboten, die sich auch die Armen und weniger Wohlhabenden leisten können, von angeblich zukünftig kommendem sozialen Wohnungsbau und dergleichen mehr, einlullen lassen, der hat sich geschnitten. Wir haben längst verstanden, dass wir hier um jede Quadratmeter kämpfen müssen. Und wenn auch die Kräfte und Möglichkeiten in diesem Kampf zu unseren Ungunsten verteilt sind: Im Gegensatz zu denen, die aus der Stadt einen Tummelplatz für Spekulation und Kapitalinteressen machen und in diesem Interesse doch ständig untereinander konkurrieren, sind wir verbunden durch Solidarität und den Kampf für ein Leben für alle, das diesen Namen auch verdient. Wir kämpfen um unsere Viertel, unsere Häuser, unsere Nachbarschaft.
Kommt mit uns zur Demonstration am 23.10. um 17 Uhr in Leipzig – Plagwitz!
Wir bleiben autonom – widerständig – unversöhnlich
Alle zusammen – gegen den Ausverkauf der Stadt!
Alle zusammen – gegen Entmietung und Verdrängung!
Alle zusammen – gegen die Stadt der Reichen!
23.10. – 17 Uhr – Leipzig/Plagwitz – Felsenkeller an der Karl-Heine-Straße/Zschochersche Straße