Kein Freund – Kein Helfer

Das Leben in den westlichen Demokratien ist geprägt von der Allgegenwärtigkeit des bürgerlichen Rechts, das die Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausdrückt. Ebenso werden die geltenden Gesetze jedoch auch ganz alltäglich gebrochen. Daher greift der bürgerliche Staat auf eine Exekutive zur Durchsetzung der Rechtsordnung zurück. Die Polizei ist demnach zunächst nichts weiter, als das staatliche Instrument zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung der herrschenden Ordnung. Gewalt spielt bei der Umsetzung dieser Funktion eine wesentliche Rolle. Nicht umsonst wird vom “Gewaltmonopol” der Polizei gesprochen, nicht ohne Grund tragen Polizist*innen Schuss- und Schlagwaffen, setzen Wasserwerfer, Tränengas, usw. ein. Über diese Tatsache lügt sich die Öffentlichkeit jedoch permanent in die eigene Tasche. Das drückt sich z.B. darin aus, dass die in Übereinstimmung mit geltendem Recht von der Polizei ausgeübte Gewalt gar nicht erst benannt wird. Stattdessen ist von der “Anwendung unmittelbaren Zwangs” die Rede, während der Begriff der “Polizeigewalt” ausschließlich auf unrechtmäßig von der Polizei ausgeübte Gewalt abzielt. Im Gegensatz dazu wird jedes gewaltvolle Handeln außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols als solches benannt und als kriminell skandalisiert.

Das jeweils geltende Recht wird in der Öffentlichkeit als die vernunftgemäße, geradezu natürliche Ordnung angesehen und als alternativlos akzeptiert. Es bedarf daher auch keiner weiteren Begründung. So wird jedes gewaltvolle Handeln außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols als unpolitisch diffamiert und jene, die sie ausüben, als charakterlich verkommen dargestellt. Dieser Standpunkt öffnet den Raum für Hetze gegen all jene, die eine andere Gesellschaft im Sinn haben und sich nicht vorauseilend von “jeglicher Gewalt” distanzieren. Obwohl sich das staatliche Gewaltmonopol grundlegend ebenso gegen rechte wie gegen linke Strukturen richtet, so ist die Verbundenheit der Ermittlungsbehörden zu konservativen bis hin zu rechtsradikalen Strukturen sowohl institutionell, als auch individuell offenkundig. Diese ideologische Verbundenheit ist schon in der antikommunistischen Gründungsgeschichte von Institutionen der inneren Sicherheit wie dem Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt, dem Staatsschutz und auch der Bundesanwaltschaft angelegt. Allesamt Institutionen, die von NS-Tätern an zentralen Stellen aufgebaut wurden.

Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass heute kaum ein*e linke*r Demonstrant*in, nicht schon mal auf Demonstrationen als dreckige Zecke beschimpft wurde. Linke Demonstrationen werden darüber hinaus eh schon geradezu traditionell besonders hart angegriffen. Nicht selten werden sie schon vor deren Beginn zusammengeschlagen, die Teilnehmer*innen werden mitunter massenhaft in vorgefertigte Hallen voller Käfige weggesperrt oder zusammengetrieben und stundenlang gekesselt.

Vor dem Bild von der guten, die “natürliche” Ordnung verteidigenden Gewalt auf der einen Seite und der bösartigen, willkürlichen Gewalt auf der anderen Seite formiert sich die Polizei als staatliche Institution. Ihre Mitglieder werden für die Anwendung von Gewalt fit gemacht und ideologisch mit der Gewissheit ausgestattet, den Staat als Ausdruck der guten Ordnung zu verteidigen. Diese ideologisch eingeimpfte Staatstreue wird nach innen durch einen ausgeprägten Korpsgeist gefestigt. Das oft bemühte Bild des „Freund und Helfers“ ist dabei nicht mehr als ideologischer Kitt, der über die grundlegende Funktion der Polizei als politische Akteurin mit militärischer Organisationsform hinwegtäuschen soll. Die charakteristischen Merkmale einer solchen Organisationsform wie Disziplin, Opferbereitschaft, Gehorsam und Treue sind grundlegende Merkmale patriarchaler Strukturen. Diese verträgt sich dabei bestens mit der patriarchalen Grundkonfiguration der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, zu deren Verteidigung die Polizei aufgestellt und erhalten wird. Der Korpsgeist mündet unter anderem in einem Freund-Feind-Denken, bei dem all diejenigen, die diese (patriarchal kapitalistische) Gesellschaftsordnung ablehnen und gegen sie vorgehen, als das ungehemmte Böse schlechthin mystifiziert werden, und gegen die damit letztendlich jedes Mittel recht und billig wird. Im Zuge dieser permanenten Abwertung bildete der sogenannte Boden der Verfassung, auf den die Polizei alle zwängen will, noch nie die Grundlage des polizeilichen Handelns selbst. Wer schon von Anfang an auf der richtigen Seite steht und sich dessen durchweg selbst bestätigt, braucht sich kaum zu rechtfertigen und lässt das Moment von Willkür zu. Aussagen, wie “Polizeigewalt hat es nicht gegeben“ (G20 in Hamburg), die “Polizei kann nicht rassistisch sein“ verdeutlichen dies.

Aber selbst wenn eingestanden würde, dass die Polizei unverhältnismäßig gegen Demonstrationen vorgeht, oder dass Racial Profiling fester Bestandteil polizeilicher Einsatzstrategien ist, bliebe das grundlegende Problem bestehen: Die Institution Polizei basiert auf einer patriarchalen Struktur und dem Konzept des autoritären Charakters. Denn wer Teil der Polizei ist, muss sich einem Ordnungsgefüge unterwerfen und zwangsläufig Abspaltungen an sich selbst vornehmen. Ziel ist eine klare Abgrenzung und Kontrolle von Gesellschaftsgruppen und Attributen, die dem geregelten Fortgang dieser Gesellschaftsordnung widersprechen: Empathie, Verdorbenheit, Weichheit und Sanftheit gelten als niedere und zu kontrollierende weibliche Wesensarten; Unproduktivität, Faulheit und Müßiggang gelten als schädliche und zu sanktionierende Eigenschaften arbeitsloser, linker oder wahlweise jüdischer bzw. Angehörigen der Roma*-Bevölkerung. Gewalttätigkeit, Hitzköpfigkeit, Unberechenbarkeit und Betrügertum gelten als fremde und zu domestizierende Eigenschaften migrantischer Personen und Communities. Aus dieser Perspektive muss jeder Emanzipationsversuch als feindlich wahrgenommen werden. In diesem Zuge werden verschiedene Feindbilder gezeichnet, die auf unterschiedlichen Ebenen wirken. Dabei wirkt z.B. die Rede von zunehmender “Migrantisierung” oder “Islamisierung” als gängiger Grund für eine weitere Militarisierung der Polizei. Die angebliche “Verweiblichung” oder “Verschwulung” der Gesellschaft unterstreicht die Rolle der Polizei als Bollwerk der konservativ-patriarchalen Ordnung. Allerdings benötigt sie dazu gesellschaftlichen Rückhalt, der sich zum Beispiel dann einstellt, wenn autoritäre Tendenzen in der Gesellschaft bestärkt und getriggert werden. Eine besonders wirkungsvolle Strategie sind inszenierte Bilder, die Angst und Wut schüren und die braven Bürger*innen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, gegen die vermeintlichen Störer*innen der öffentlichen Ordnung aufbringen.

Andererseits gerät ein patriarchales Gesellschaftsbild mit sich selbst in Konflikt, sobald es mit weiblicher Delinquenz und Militanz konfrontiert wird, welches dem Stereotyp der passiv-friedfertigen Frau widerspricht. Diese sexistische Praxis hat eine lange Tradition. Mit Blick auf die jüngere Geschichte waren schon in den 70er Jahren die Frauen in der RAF nicht nur bösartige Terroristinnen, sondern dreckige, lesbische Mädchen und wenn es passte, dann natürlich auch Rabenmütter, die ihre Kinder der Verwahrlosung preis gaben. Diese Art der Berichterstattung setzt sich bis heute fort. Ob es nun um die “Krawallbarbie” geht, um die vermeintlich besonders dreckigen und unwürdigen Zustände in der anarcha-queer-feministischen Liebig34 oder nun erneut in Bezug auf Lina um die “Frau unter den Vermummten” und die Länge ihres angeblichen Minirocks. Frauen werden in diesem Sinne für ihre Widerständigkeit in doppelter Hinsicht bestraft. Einmal für den Verstoß gegen die herrschende Rechtsordnung und andererseits für die Abweichung von Ansprüchen, die an Sie als Frauen gestellt werden. Der Polizeiapparat ist in diesem Sinne nicht nur einfaches Instrument der Herrschaft, sondern ebenso seiner Form nach Ausdruck der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaftsordnung. Militarisierung und männerbündiger Korpsgeist sind dabei die offensichtlichsten Merkmale eines zur Unterdrückung geschaffenen Polizeiapparates, der aus sich heraus notwendigerweise menschenverachtend ist.

Am 23.10.21 ziehen wir als Demonstration nicht einfach so nach Connewitz, sondern weil gerade dieses Viertel in den letzten Jahren von einer besonderen Welle der Repression betroffen ist. Connewitz wird dabei als besonderer Ort des Bösen in Leipzig und Sachsen stilisiert. Es geht um Feindbilder, die bewusst gezeichnet werden und entsprechend der klassischen Zuschreibungen und Abwertungen, wie wir sie schon oben beschrieben haben funktionieren. Ein Viertel, dass für eine antifaschistische Praxis bekannt ist, in dem sich offener als anderswo gegen Verdrängung gewehrt wird, in dem die alltägliche Polizeipraxis als das benannt wird, was sie ist – Bullenterror – und in dem Kneipen und andere Orte auch mal öffentlich für ihre sexistische Praxis kritisiert werden, wird so zu einem “Hotspot der Linksextremen“. Wenn der Polizei dann auch noch nicht einfach freie Hand gelassen wird, wenn Sie z.B. mit ihren BFE-Einheiten Menschen durch ihr Viertel jagt oder bei Demonstrationen auch mal ein paar Dinge kaputt gehen, dann sprechen neben den üblichen rechten Scharfmacher*innen selbst die Grünenpolitiker*innen von Gewalttätern, die politische Ziele nur als Deckmantel nutzen. Alles unter dem Dogma, dass “Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung“ sei. Dieses Dogma könnte dümmer nicht sein, wenn sich vor Augen geführt wird, dass Gewalt schon immer zentrales Element der politischen Auseinandersetzung war und die Polizei als militärisch aufgerüstete politische Akteurin genau dafür ausgebildet wird. Die Polizei ist als Verteidigerin der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaftsordnung selbstverständlich zutiefst gewalttätig und ebenso selbstverständlich Mittel der politischen Auseinandersetzung. Wenn sie Connewitz als linksextremen Hotspot beschreibt und dann dort die Menschen drangsaliert, die sich gegen ebendiese Gesellschaftsordnung stellen, dann ist sie nichts anderes als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Ein Mittel dass wir ebenso ablehnen wie die dämlichen Heuchler*innen, die ihnen aus den Parlamenten und Redaktionsräumen beispringen, sobald auch mal andere als die Polizei und ihr politisches Backup Gewalt als politisches Mittel der Auseinandersetzung für sich beanspruchen.

Wir stehen zu Connewitz – Gemeint sind wir Alle

Free Lina

Feministisch Autonom